Vor einigen Tagen rief mich mein Freund Hajo an, ein erfahrener Boeing 737-Kapitän und Trainer, der seit fast dreißig Jahren fliegt. Sein jährlicher Checkflug im Simulator stand an und er wollte wissen, ob ich zum Training am Vortag mitkommen wolle. Was für eine Frage! Zum Check war auch Sandro aus Stuttgart angereist, ein weiterer Kapitän, ebenfalls Trainer und ein paar Jahre jünger als Hajo.
Der Checkflug und das Training werden auf einem 737-800 Fullflight-Sim der RWL in Mönchengladbach abgenommen. Dort trafen wir uns in der Cafeteria mit Oli, dem Trainingskapitän und Prüfer für die beiden. Nach einem kurzen „Aufwärm-Kaffee“ ging es in den Briefingraum zur Vorbesprechung. Als Gast konnte ich mich entspannt zurücklehnen, während Hajo und Sandro einen Theorietest absolvieren und für den geplanten Checkflug die erforderlichen Unterlagen, wie beispielsweise ein händisch ausgefülltes Loadsheet, vorlegen mussten. Anschließend wurde in einer kurzen Theorieeinheit über das Verhalten bei Windscherungen gesprochen. Wie kann man sie erkennen, welche Precautions gibt es zu beachten und wie kann man ihnen ausweichen? Für mich war es interessant zu sehen, wie genau eine Company mit ihren SOP’s (Standard Operating Procedures) festlegt, wer wann was wie zu machen hat. Nur so kann gewährleistet werden, dass alle Piloten auf einem einheitlich hohen Niveau performen.
Anschließend ging es in den Simulator, um den Übungsflug von Teneriffa nach Lanzarote durchzuführen. Angefangen von den Vorbereitungen am Gate, über das Anlassen der Triebwerke bis zum eigentlichen Flug wurde alles absolut realitätsgetreu simuliert – inklusive Funksprechverkehr, wobei Oli am Bedienpult des Trainers zusätzlich als Lotse und als Purserin Susi fungieren musste. Klingt komisch, aber um nah an der Realität zu bleiben, muss ja auch jemand „Cabin ready“ melden 🙂
Unter den wachsamen Augen des Trainers starteten wir schließlich und nahmen Kurs auf unseren Zielflughafen. Während ich das Glück hatte, dass mir Oli jeweils im Vorfeld ins Ohr flüsterte, welchen Fehler er nun einbauen würde und welche Reaktion er darauf erwartet, mussten die beiden Kollegen auf den Pilotensitzen ihr Können nach einem Überraschungsmoment unter Beweis stellen.
Los ging es mit einem kompletten Ausfall der Flight Management Computer (FMC). Als Folge musste das Flugzeug konventionell navigiert werden, also mit Hilfe von VOR’s, NDB’s etc., ganz so, wie ich es aus meiner Piper auch kenne. Die Berechnungen, die sonst der Computer vornimmt, mussten nun manuell gemacht werden: Wieviel Sprit haben wir noch an Bord, wie schwer werden wir bei der Landung sein, wann müssen wir anfangen zu Sinken usw. Im Grunde genommen nicht schwierig, aber natürlich ungewohnt und auf dem verhältnismäßig kurzen Flug verbunden mit einer hohen Arbeitsbelastung. Auch hier wieder interessant zu sehen, wie strukturiert und festgelegt die Abläufe im Cockpit sind, um eine Situation „abzuarbeiten“.
Nach der sicheren Landung konnte einer der großen Vorteile eines Simulators ausgespielt werden, das schnelle Versetzen des Flugzeugs in ein neues Szenario. In diesem Fall wurden nun Anflüge auf Frankfurt unter wechselnden Sichtbedingungen geflogen. Schon faszinierend, wie spät man die Runway sieht, wenn man bis an die Minimums heranfliegt. Natürlich verliefen auch diese Anflüge nicht störungsfrei: Mal blockierte ein Flugzeug die Bahn, dann zeigte der Radarhöhenmesser falsche Werte an, die automatische Trimmung des Flugzeugs versagte oder die Speedbrakes fuhren nach dem Aufsetzen nicht automatisch aus. Diese Situationen wurden jeweils für beide Piloten simuliert, so dass jeder mal als PF (Pilot Flying) bzw. als PM (Pilot Monitoring) agieren musste.
Da beide „Prüflinge“ erfahrene Piloten sind, waren wir trotz des umfangreichen Programms recht zügig fertig, so dass am Ende noch Zeit war, um die Rollen zu tauschen – ich durfte auf den Captain’s Seat! War mir bis dahin durch die Klimaanlage eher kühl gewesen, verkehrte sich das recht schnell ins Gegenteil. Oli’s Ansage „Du hast ja die ganze Zeit gesehen, was gemacht wird, jetzt bist Du dran…“ brachte mich schnell zum Schwitzen. Während ich gedanklich noch mit dem Capacitation check und der TOGA-Taste am Schubhebel beschäftigt war, ging es direkt nach dem Start mit einem Triebwerksausfall los. Sah bei Hajo und Sandro ganz easy aus, einfach beherzt ins Seitenruder treten, Flugzeug mit dem Querruder stabilisieren, auf eine definierte Höhe steigen, dann Memory Items abrufen und anschließend die Checkliste abarbeiten und ATC informieren. Aber Zuschauen ist doch einfacher als Selbermachen – zum Glück saß Hajo auf dem Copiloten-Sitz und konnte genau wie Oli von hinten korrigierend eingreifen.
Nachdem ich das geschafft hatte, haben wir ILS-Anflüge auf die RWY 25C in Frankfurt geübt. Die „einfachste“ Variante ist das Fliegen nach Flight Director, bei der man, wie bei einem Computerspiel, einem Fadenkreuz im Display nachfliegt, während der Schub über Autothrottle automatisch geregelt wird. Schwieriger wird es dann schon, wenn man zusätzlich zum Fadenkreuz auch noch die Schubsteuerung selbst übernimmt. Beim dritten Mal war es dann ein Raw Data-Anflug, bei dem man keinen Flight Director zur Verfügung hat, sondern durch einen ständigen Wechsel zwischen ILS-Anzeige auf dem Display und dem Blick aus dem Fenster seinen Flugweg korrigiert. Dafür braucht es schon ein gewisses „Gefühl“ für die Reaktion des Flugzeugs auf die Steuereingaben und für die Trimmung. Anders als beim Airbus, ist das bei der Boeing nämlich Aufgabe des Piloten. Da ich das elektrische Trimmen mit dem Schalter am Steuerhorn aus der Piper kannte, fiel es mir nicht besonders schwer, mir den Flieger „hinzutrimmen“ – wofür es prompt auch ein Lob von Oli gab!
Während man solche Übungen abarbeitet, vergeht die Zeit im wahrsten Sinne des Wortes wie im Flug. Die letzten fünf Minuten haben wir mit „Spaß“ gefüllt, also mit Dingen, die man normalerweise nicht unbedingt während der kostbaren Simulatorzeit machen würde. In diesem Fall war das ein Low-Approach mit 310 Knoten über die RWY 25C in EDDF, am Ende der Bahn Pitch-up 30°, nach drei Sekunden Vollausschlag links am Steuerhorn und mit beiden Händen am Anschlag festhalten.
Unglaublich aber wahr, man kann mit einer Boeing 737 eine Rolle fliegen – auch im Fullflight-Simulator 🙂
Aus dieser unüblichen Position sollte Hajo nun den Flieger vom Co-Pilotensitz wieder in Frankfurt landen. Um die Sache etwas zu erschweren, fielen wie von Geisterhand sämtliche Bildschirme im Cockpit aus und zu allem Übel im Queranflug dann auch noch beide Triebwerke – die beiden Herren am Trainerpanel hatten hörbar Spaß beim Aktivieren dieser Fehler. Hajo hat dann das gemacht, was ich bei Ziellandeübungen mal mehr und mal weniger gut schaffe – das Flugzeug exakt hinter der Schwelle auf die Bahn zu setzen. Respekt!
Mit drei so erfahrenen Kapitänen mehrere Stunden im Simulator zu sitzen, ist extrem lehrreich, egal ob durch Zuschauen oder selbst an den Controls. Und ich habe mitgenommen, dass man sich als Passagier auf dem Weg in den Urlaub sicher sein kann, mit gut ausgebildeten Piloten zu reisen.
An dieser Stelle noch mal ein großer Dank an die drei Kollegen, dass sie mich mitgenommen haben und mir mit großer Geduld und viel Engagement alles erklärt und gezeigt haben – ihr seid Schuld, dass ich nun noch motivierter bin, mir einen Platz im Cockpit zu erarbeiten! 🙂
Ich habe gerade angefangen, mit meinem geschenkten Microsoft Flugsimulator X (mit Saitek-Hardware) etwas herumzuspielen und bin auf der Suche nach Informationen und Anleitugen auf diese Seite gestoßen. Es war mir als noch quasi komplettem Laien ein Genuss, das zu lesen. War ja ein richtiges Abenteuer! Dass mit der B-737 Rollen möglich sind, kann ich nach meinen eigenen ersten Erfahrungen mit dem FSX bestätigen.